Qawwali ist eine Form der islamisch-sufistischen Andachtsmusik, die ihren Ursprung auf dem indischen Subkontinent hat. Ursprünglich wurde sie an Sufi-Schreinen (Dargahs) in Indien, Pakistan, Bangladesch und Afghanistan gesungen. Heute hat Qawwali weltweite Bekanntheit erlangt, besonders durch Künstler wie Nusrat Fateh Ali Khan, die Sabri Brothers und Aziz Mian.
Begriffserklärung
Der Begriff „Qawwali“ leitet sich vom arabischen Wort „Qawl“ (قَوْل) ab, was „Aussage“ oder „Spruch“ bedeutet. Ein „Qawwal“ ist eine Person, die Qawwali singt, und die Musik selbst wird als „Qawwālī“ bezeichnet.
Ursprünge und Geschichte
Die Entstehung des Qawwali wird dem persisch-indischen Sufi-Heiligen Amir Khusrow (1253–1325) zugeschrieben, der Elemente der persischen, arabischen, türkischen und indischen Musik vereinte. In Zentralasien und der Türkei wird ähnliche Musik als „Sama“ bezeichnet, während im indischen Subkontinent der Begriff „Mehfil-e-Sama“ für Qawwali-Versammlungen gebräuchlich ist.
Tradition und Regeln
In den frühen Jahren unterlag Qawwali strengen religiösen Regeln:
- Nur männliche Erwachsene durften singen.
- Die Zuhörer sollten sich ausschließlich auf das Lob Allahs konzentrieren.
- Obszöne oder weltliche Texte waren verboten.
- Musikinstrumente durften nicht verwendet werden.
Obwohl einige Sufi-Heilige wie Nizamuddin Auliya Musikinstrumente ablehnten, haben sich Instrumente wie Harmonium, Tabla und Dholak im modernen Qawwali durchgesetzt.
Die Rolle der Qawwals
Traditionelle Qawwals sind oft Teil einer Musiker-Dynastie und treten bei religiösen Anlässen wie den Urs-Feiern (Todestage von Sufi-Heiligen) auf. Die Ausbildung erfolgt in zwei Bereichen:
- Innerhalb einer Musikerbruderschaft (Bradri), wo die musikalischen Grundlagen erlernt werden.
- In Sufi-Kreisen, in denen sie die spirituellen und poetischen Inhalte verinnerlichen.
Repertoire des Qawwali
Das Repertoire besteht hauptsächlich aus Gedichten in Persisch, Urdu und Hindi, aber auch in lokalen Sprachen wie Punjabi, Saraiki oder Sindhi. Die Texte drehen sich um Liebe, Hingabe und die Sehnsucht nach dem Göttlichen. Oft werden weltliche Metaphern wie romantische Liebe oder Wein als Sinnbilder für die mystische Ekstase verwendet.
Wichtige Liedkategorien:
- Qaul: Enthält Aussprüche des Propheten Mohammed.
- Hamd: Lobpreisungen Allahs.
- Naat: Loblieder auf den Propheten Mohammed.
- Manqabat: Lobgesänge auf Sufi-Heilige oder Imam Ali.
- Marsiya: Klagelieder über den Tod Imam Husayns.
- Ghazal: Liebeslieder, die mystische Hingabe darstellen.
- Kafi: Gedichte aus der Punjabi- und Sindhi-Tradition.
- Munajaat: Bittgebete an Allah.
Der Aufbau einer Qawwali-Gruppe
Eine typische Qawwali-Gruppe besteht aus 8-9 Männern:
- Ein Hauptsänger (Lead Qawwal)
- 1-2 Begleitsänger
- 1-2 Harmoniumspieler
- Ein oder zwei Perkussionisten (Tabla/Dholak)
- 4-5 Chormitglieder, die durch Klatschen den Rhythmus unterstützen
Traditionell sitzen die Musiker in zwei Reihen: die Hauptsänger vorne, die Perkussionisten und Chorsänger hinten.
Frauen im Qawwali
Frauen durften früher nicht in der Öffentlichkeit singen, doch diese Tradition hat sich gewandelt. Berühmte Sängerinnen wie Abida Parveen haben das Genre revolutioniert, obwohl Qawwali immer noch von Männern dominiert wird.
Musikalische Struktur eines Qawwali
Qawwalis beginnen sanft und steigern sich zu ekstatischen Höhen, um einen tranceartigen Zustand bei Zuhörern hervorzurufen. Die längsten Qawwalis dauern über 100 Minuten.
Typischer Ablauf:
- Instrumentales Vorspiel: Die Melodie wird auf dem Harmonium eingeleitet.
- Alap: Ein improvisiertes Intro ohne Rhythmus.
- Einstimmung des Hauptsängers: Unrhythmische Verse, um das Thema einzuführen.
- Beginn des Hauptliedes: Rhythmus setzt ein, der Refrain wird von allen gesungen.
- Steigerung: Improvisationen der Sänger, Intensivierung des Gesangs.
- Höhepunkt und plötzliches Ende.
Berühmte Qawwali-Künstler
Qawwali erlangte internationale Berühmtheit durch Musiker wie:
- Nusrat Fateh Ali Khan: Bekannt als „Shahenshah-e-Qawwali“ (Kaiser des Qawwali)
- Sabri Brothers: Traditionelle Qawwals aus Pakistan
- Aziz Mian: Berühmt für seine provokanten Texte
- Abida Parveen: Eine der wenigen weiblichen Qawwals
- Rahat Fateh Ali Khan: Fortführer der Nusrat-Tradition
Qawwali heute
Moderne Qawwali-Musik hat durch elektronische Musik und Fusionen mit westlichen Genres an Popularität gewonnen. Festivals wie WOMAD haben Qawwali einem weltweiten Publikum nähergebracht. Während traditionelle Qawwals weiterhin in Schreinen auftreten, erreichen zeitgenössische Künstler ein globales Publikum durch Social Media und Streaming-Dienste.
Qawwali ist weit mehr als nur Musik – es ist eine spirituelle Reise, eine Verbindung zum Göttlichen und eine Brücke zwischen Tradition und Moderne.